Sonntag, 17. März 2013

[Buchtipp] "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" von Jonas Jonasson


Inhalt:

Allan Karlsson hat Geburtstag. Er wird 100 Jahre alt. Eigentlich ein Grund zu feiern. Doch während sich der Bürgermeister und die lokale Presse auf das große Spektakel vorbereiten, hat der Hundertjährige ganz andere Pläne: er verschwindet einfach – und schon bald steht ganz Schweden wegen seiner Flucht auf dem Kopf. Doch mit solchen Dingen hat Allan seine Erfahrung, er hat schließlich in jungen Jahren die ganze Welt durcheinander gebracht.

Jonas Jonasson erzählt in seinem Bestseller von einer urkomischen Flucht und zugleich die irrwitzige Lebensgeschichte eines eigensinnigen Mannes, der sich zwar nicht für Politik interessiert, aber trotzdem irgendwie immer in die großen historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts verwickelt war.
(Bild- und Textquelle: carl`s book)

Meinung:

Der Debütroman des schwedischen Autors Jonasson erschien erstmals im Jahr 2009. Im Folgejahr war der Titel das am meisten verkaufte Buch in Schweden. Der Hundertjährige der aus dem Fenster stieg und verschwand stand auch in deutschen Bestsellerlisten auf Platz eins und erhielt durchweg positive Kritiken.

Allan Karlsson hat die Nase voll! Er hat keine Lust mehr, sich von der giftigen Altenpflegerin Alice bevormunden zu lassen. Und vor allem hat er keine Lust, seinen 100. Geburtstag mit dem Stadtrat und den ganzen anderen alten Leuten aus seinem Heim zu feiern. Deshalb steigt er kurzentschlossen aus dem Fenster.

Was dann beginnt, ist eine abenteuerliche Flucht. Unterwegs lässt Allan einen Koffer mit 50 Millionen schwedischen Kronen mitgehen, der eigentlich einer Gangster-Gruppe gehört. Mit diesem unerwarteten Gewinn beginnt für Allan ein später neuer Lebensabschnitt. Eine Meute von Polizisten, die “Never again”-Mafia-Truppe und eine Horde Journalisten jagen ihn. Doch Allan etabliert mit den Freunden, die er auf seiner Reise kennenlernt, in sein Geheimnis einweiht und zu Komplizen macht, ein eingeschworenes Team. Trotz etlicher Leichen, die leider und unvermeidlich am Wegesrand zurückbleiben müssen, löst sich später alles in Wohlgefallen auf: Eine saubere, stimmige Lügengeschichte überzeugt den Staatsanwalt von der allgemeinen Unschuld – und so endet dieser Plot wie im Märchen: Allan und seine Freunde reisen nach Bali, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute dort.

Im Jahr 1905 beginnt der zweite Handlungsstrang. Da verarbeitet Jonas Jonasson, was sich in 100 Jahren Weltgeschichte zugetragen hat. Genauer gesagt: Indem er Allan von einem Schauplatz zum anderen schubst, erschafft der Autor ein bewundernswert kompaktes, treffsicher komprimiertes, in seiner Struktur stimmiges Panoptikum von Staaten und ihren Lenkern, Realitäten und Ideologien. Doch Achtung: Wer auf Humbug hereinfällt, ist selber Schuld. (Zum Beispiel gibt Allan, Sprengstoffspezialist durch learning by doing und ahnungslos in Physik, Robert Oppenheimer den entscheidenden Hinweis zum Bau der Atombombe …)

Kapitelweise wechseln sich Episoden aus Allans Odyssee in der Gegenwart und seine Auftritte auf dem Parkett der Weltpolitik ab. Allan, der Naiv-Unpolitische, purzelt ungewollt und zufällig mitten in die Krisenherde der Welt. Er erhält Einladungen von Regierenden unterschiedlichster Couleur – Stalin, Truman und Franco, um nur wenige seiner Gastgeber zu nennen -, denn alle versprechen sich Vorteile – zumindest guten Rat, wenn nicht gleich die Atombombe. Dass Allan ungeplant und ziellos (“Es kommt, wie es kommt.” S. 40) Einfluss auf das Schicksal der Welt nimmt, lässt Geschichte oft als sinnlose, paradoxe Groteske erscheinen, wie einige Beispiele illustrieren: Allan soll auf Wunsch des Schahs von Persien einen Anschlag auf Churchill durchführen – und vereitelt ihn dann auf geschickte Weise selbst. Allan bekämpft mit Chiang Kai-shek (der porträtiert wird als Pantoffelheld seiner Frau Song Meiling, einer guten Freundin Roosevelts und Strippenzieherin) den Vormarsch Maos und der Kommunisten – und befreit später Maos Frau Jiang Qing aus dem Gefangenenlager der Kuomintang. Mao, sein neu gewonnener Freund, bedankt sich dafür fürstlich bei ihm – mit Geld, das auf Umwegen aus den USA
stammt. Allan arbeitet für die CIA in Moskau und wirbt einen sowjetischen Physiker an – doch dessen Wissen gibt er jeder Seite weiter, wobei Dichtung und Wahrheit gewissenhaft und glaubwürdig vermischt werden. Konsequenterweise reagiert Allan allergisch, sobald die Machthaber ihn ideologisieren wollen, denn als Sozialist, Republikaner, Kommunist oder Faschist lässt er sich nie abstempeln.

Diesen auf anspruchsvolle Weise amüsanten Roman mit einer sympathischen Kunstfigur als Protagonist habe ich in die Liste meiner ganz privaten aktuellen Lesetipps aufgenommen.

Buchtipp von Susanne Heeb

Infos zum Buch:

Jonas Jonasson: “Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand”, 416 Seiten, carl’s books; Auflage: 24. Auflage, (29. August 2011)

ISBN 978-3570585016